Band 5 "Pferde"
Aus dem Inhalt:
Nach zehn Minuten führt Martin Kora auf den Reitplatz.
Oskar folgt und erklärt: „Du musst Kora zuerst longieren, damit sie warm wird
und uns ihre Gänge zeigt; hier sind Longe und Peitsche.“
Martin nimmt beides entgegen und führt Kora im Schritt auf der linken Hand in
den Zirkel.
„Du führst sie links herum, Martin, das ist gut so. Warum?“
„Links ist ihre Schokoladenseite, hast du mir erklärt“, erwidert Martin.
„Ja, und warum?“, hakt Oskar nach.
Martin kommt nicht gleich auf die Antwort und Oskar fährt fort:
„Weil fast alle Pferde linksgekrümmt im Stutenleib liegen und daher auch nach der
Geburt diese angeborene Krümmung beibehalten. Will der Reiter diese Krümmung
ausgleichen, muss er das Pferd beim Einreiten und auch später häufig auf
der rechten Hand bewegen. So richten sich die Pferde mit der Zeit gerade.“
Oskar reitet Kora seit geraumer Zeit ohne Gebiss und sie nimmt die Zügelhilfen
über den gepolsterten Nasenriemen gern an. Zahlreiche Lektionen hat Kora mit
dieser Zäumung schon gelernt, einige auch im Freihandreiten, wobei nur Gewichts-
und Schenkelhilfen wirken, wie zum Beispiel Volte im Schritt, Galopp
auf dem Zirkel. Oskars Stolz sind die Pirouetten im Galopp, ebenso die fliegenden
Galoppwechsel, an denen Reiter und Pferd sich bis zum Einerwechsel herantasten
wollen.
Den Dreierwechsel hat Kora schon gelernt und jedes Mal zeigt sie nach dieser
Übung mit Schnauben, wie zufrieden sie mit ihrer Leistung ist.
Oskar löst sich von diesen Gedanken, als er sieht, dass der Kora die Bewegung
im Schritt zu langweilig ist.
„Schau mal genau auf Koras Hufe im Schritt“, ruft Oskar, „da beim Reiten die
Hinterbeine immer weit unter den Bauch treten sollen, muss das rechte oder
linke Hinterbein immer dann angeregt werden, wenn der Huf sich in der
Schwebe befindet. Er schwebt immer dann über dem Boden, wenn der diagonale
Vorderfuß die Erde berührt. Also, wenn der linke Vorderfuß auftritt, schwebt der
rechte Hinterfuß. Das habe ich dir vorhin schon erklärt.“
Martin antwortet seinem Vater nicht, damit er Kora durch seine Stimme nicht
stört. Er regt Kora mit sanfter Peitsche dazu an, die Hinterbeine weit über die
Hufspur der Vorderbeine treten zu lassen.
„Ja“, lobt Oskar, „Kora tritt gut über. Nun lass sie auch mal auf der rechten Hand
gehen.“
Martin schnallt die Longe um und führt Kora rechts herum auf den Zirkel. Auch
hier tritt sie weit über die Hufspuren der Vorderbeine hinweg und Oskar empfiehlt
das Antraben.
Martins Peitsche berührt leicht Koras Sprunggelenke und mit einem Schnalzer
beginnt sie zu traben.
„Bravo“, ruft Oskar, „Kora trabt sehr gut und setzt die Hinterbeine schon dicht
unter ihren Schwerpunkt. Damit sie das auch unter dem Reiter macht, muss der
Reiter auch beim Traben immer abwechselnd das Hinterbein anregen, das gerade
schwebt. Das Leichttraben ist also ein ständiges Auf und Nieder des Gesäßes. Erfahrene
Reiter fühlen das rechte Auffußen, Anfänger schauen kurz nach unten
auf die linke Schulter und sehen, dass sie auffußt. Also fußt auch gleichzeitig der
rechte Hinterfuß auf.“
Oskar holt tief Luft und während Kora brav ihre Runden trabt, fährt er fort:
„Der innere Hinterfuß schwebt dann, wenn der Reiter auf den Knien steht, also
sein Gesäß ebenfalls schwebt und dann treibt der Reiter mit der Gerte nach, denn
mit dem schwebenden Gesäß kann er weder das Kreuz anspannen noch eine Gewichtshilfe
geben.“
Wieder eine kurze Verschnaufpause und Oskar beendet seinen Trabexkurs:
„So, nun reicht das Longieren, Martin, steig in den Sattel. Warte, ich drücke den
äußeren Steigbügel nach unten, wenn du aufsteigst, dann verschiebt sich der
Sattel nicht und der Widerrist wird geschont.“
Martin schwingt sich hoch und setzt sich vorsichtig in die Mitte des Sattels.
Oskar hat die Longe ausgeschnallt und Martin ergreift die Zügel.
Oskar hat ihn schon ein Jahr lang mit Kora unterrichtet, Martin weiß daher, wie
Kora seine Hilfen empfindet und wie sie seinen Atem spürt. Zum Anreiten im
Schritt atmet Martin tief ein und beim Ausatmen schreitet Kora los.
„Das habt ihr gut gemacht“, lobt Oskar, „ich habe keine weiteren Hilfen zum Anreiten
gesehen, nur dein Ausatmen gehört. Bravo!“
Martin lässt Kora am langen Zügel vorwärts schreiten und fühlt sich in die Fußfolge
hinein: Links vorn, rechts hinten, rechts vorn, links hinten.
Mit leichten Kreuzbewegungen versucht er, den jeweils schwebenden Hinterfuß
vorwärts zu drücken.
„Gut machst du es“, fühlt Oskar mit, „Kora tritt weit unter.“
Nach einigen Schrittrunden lässt Martin die Kora antraben, ebenfalls mit dem
Ausatmen und ganz leichtem Kreuzanspannen. Kora trabt gleichmäßig und will
sich – mit dem Kopf nach unten strebend – an den Zügel anlehnen.
„Sehr gut“, lobt Oskar, „Kora will sich dehnen und den Rücken runden. So bleibt
ihr Rücken locker, wird nicht hart, schwingt wie eine Feder und du spürst, dass
dein Rücken niemals auf einem steifen Brett landet.“
Martin trabt leicht und lässt Kora laufen, stellt sie in den Ecken mit nachgebender
äußeren Hand in die Rundung, führt sie in die diagonale Linie der Reitbahn
und verlängert hier den Trab. Vor der Ecke nimmt Kora die annehmenden Hilfen
mit locker schwingendem Hals an. Martin fühlt, dass Kora beim Leichttraben ein
leichtes Touchieren des schwebenden Hinterfußes mit der Gerte zum verstärkten
Untertreten anregt.
Oskar sieht es und freut sich mit Martin, der Kora in den Schritt führt und vor
Oskar halten lässt.
„Ihr beiden habt euch sehr gut vorgestellt“, gratuliert Oskar, „du hast alles behalten,
Martin, was du in einem Jahr gelernt hast, zum Schluss noch ein kleiner
Galopp und dann kann Kora wieder zum Kanon.“
Martin führt Kora im Schritt auf den Hufschlag, stellt sie mit den Zügeln leicht
nach innen, legt den äußeren Schenkel hinter den Sattelgurt, berührt mit dem
inneren Schenkel Koras Flanke am Sattelgurt, kommt dadurch mit dem inneren
Gesäßknochen etwas nach vorn und mit dem Gewicht nach innen, drückt kurz
den inneren Schenkel in die Flanke und Kora springt in den Galopp.
Gleichzeitig mit dem Ansetzen zum Galoppsprung gibt Martin den inneren
Zügel etwas länger und erleichtert so das Vorspringen des inneren Vorderbeines.
Nach zwei Runden Galopp wechselt Martin die Hand mit einfachem Galoppwechsel
und lässt Kora auch auf der anderen Hand zwei Runden Galoppieren,
die letzte Runde im leichten Jockeysitz.
„Bravo, ihr beiden“, staunt Oskar, „das war die Krone.“
Oskar geht auf Kora zu und klopft ihr den Hals: „Die Möhre gebe ich dir gleich,
wenn du wieder etwas zu Atem gekommen bist, liebe Kora.“
Kora schnaubt und Martin schwingt sich mit glückstrahlenden Augen aus dem
Sattel.
Sie bringen Kora in den Stall, satteln sie ab, legen den Halfter auf und geben ihr
eine Schaufel Hafer in die Krippe.
„Ich wundere mich, Martin“, sagt Oskar noch einmal, „dass du nichts vergessen
hast. Kora hat auch gut mitgespielt.“
„Sie ist gut auf mich eingestellt“ strahlt Martin, „so möchte ich Kora öfter reiten“.
„Das lässt sich bestimmt einrichten“, verspricht Oskar, „wenn du über Pferde
und Reiten mehr wissen willst, so schau mal in den Bücherschrank, eine ganze
Ecke habe ich dafür eingerichtet.
Oskar klopft seinem Sohn anerkennend auf die Schulter und Martin umarmt seinen
Vater. Beide schwärmen von Kora.
Kanon hat im Stall gewartet und wiehert ihr kräftig entgegen.
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